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Neue Wege

 

Wenn man den Nullpunkt erreicht hat, will vieles neu sortiert werden. Dieser Prozess ist zeit- und kraftintensiv. Hier gibt es einen wichtigen Dreh- und Angelpunkt, dem man sich früher oder später annehmen wird, wenn sich wirklich etwas ändern soll: Die konsequente Musterunterbrechung. Heißt nichts anderes als: Etwas anderes machen, als vorher. Nur so kann sich auch etwas verändern. Denn wer immer das Gleiche tut, wird auch immer das gleiche Ergebnis erzielen.


Neue Wege entstehen, indem wir sie gehen.

- Friedrich Nietzsche



Lernen durch Wiederholung

Das menschliche Gehirn ist ein Leben lang plastisch, also veränderbar durch Lernen. Das, was wir täglich tun, wird zu einer Gewohnheit. Irgendwann tun wir es ganz von selbst, wie beispielsweise Zähneputzen oder Autofahren. Wir denken nicht mehr darüber nach und das Verhalten ist zu einer automatisierten Gewohnheit geworden. Das Gehirn unterscheidet allerdings nicht zwischen hilfreichen und weniger hilfreichen Gewohnheiten: Das, was wir immer wieder tun, verfestigt sich. Unabhängig davon, ob es uns hilft oder nicht.

Mit Ängsten verhält es sich etwas tricky. Angst kann sich ebenso „einschleifen“, wie eine offensichtliche Verhaltensweise wie Rauchen oder Nägelkauen. Es entsteht also eine regelrechte Angstkonditionierung. Aufrechterhalten und verstärkt wird die Angst dabei durch Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten. Dieses soll dazu beitragen, das Gefühl der Angst (oder andere als unangenehm empfundene Gefühle) zu unterdrücken, zu verhindern oder anderweitig zu kontrollieren.

Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten kann sehr subtil sein. Es läuft unbewusst ab. Es hält die Angst aufrecht und verstärkt sie über Jahre immer weiter - ein bekanntes Phänomen bei Prüfungsängsten beispielsweise.

 

Daraufhin wiederholt sich auch die Intensität und Häufigkeit von Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten, da die Angst von immer mehr Lebensbereichen Besitz ergreift. Hinzu kommt, dass ständige Angst langfristig zu Erschöpfung führt, denn irgendwann hat der Organismus so viele Stresshormone „verpulvert“, dass ein Zur-Ruhe-Kommen kaum noch oder gar nicht mehr möglich ist. Ein Teufelskreis, den man nur unterbrechen kann, wenn man sich ihm bewusst wird.



Denkfehler und Sicherheitsverhalten

In der Kognitiven Verhaltenstherapie geht man davon aus, dass negative Gedanken und Bewertungen zu unangenehmen Gefühlen führen und nicht die Situation an sich (ABC-Modell, siehe unten). Negative Gedanken wiederum enthalten dabei häufig Kognitive Verzerrungen und Denkfehler, die Ängste aufrecht halten und weiter verstärken. Zu den bekannten Denkfehlern gehören beispielsweise das Katastrophendenken, Über- oder Untertreibungen, Gedankenlesen, Emotionale Beweisführung oder Entweder-Oder-Denken (Kognitive Verzerrungen, siehe unten).

Manch jemand mag beim Gedanken an das Worst Case Szenario vielleicht meinen, dass es doch gut und hilfreich wäre, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, nicht wahr? Aber das Leben ist eine einzige Unsicherheit, letztendlich ist nichts wirklich sicher. Daran ändern auch unsere Gedanken nichts. Einiges können wir beeinflussen und ganz vieles eben nicht.

 

Das Einzige, was wirklich „real“ ist, ist das Hier und Jetzt, das was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Gedanken hingegen sind Geschichten im Kopf, die frei flottieren und abzugrenzen sind von bewusstem und zielgerichtetem Nachdenken. Vermeintliches Kontrollieren zukünftiger Ereignisse mittels Grübeln, sich sorgen oder Katastrophisieren ist ein Denkfehler, der weder hilfreich noch zielführend ist. Gedanken sind nicht das Gleiche wie die Realität. Sie sind lediglich gedachte Wirklichkeit.

 

 

Keine Pfeife, nur das Abbild einer Pfeife

 

Unser soziales Umfeld macht es uns bestimmt nicht immer leicht in Sachen Denkfehler, denn mit vielen Denkfehlern wachsen wir ganz selbstverständlich auf. In vielen Fällen werden spezifische Vermeidungs- und Sicherheitstaktiken wie übertrieben gründliches Denken, Perfektionismus, übersteigerte Gewissenhaftigkeit und Verantwortungsübernahme sogar gelobt und positiv verstärkt. Das ist ziemlich problematisch, wenn es sich dabei insgeheim eben um Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten handelt, zum Beispiel bei der Angst vor Fehlern und sozialer Ablehnung.

 


Raus aus dem Teufelskreis

Aus dem Teufelskreis der Angst kommt man nur heraus, indem man sich anders verhält als vorher. Hier kommt die Musterunterbrechung zum Tragen, die allerdings nur zu einer kognitiven „Neuverschaltung“ führt, wenn die Angst freiwillig konfrontiert wird und mit dem Ziel, Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten bewusst und eigenaktiv zu unterbrechen.


Achtung: Unterbrechen ist nicht das gleiche wie unterdrücken! Unterdrücken führt immer dazu, dass das Unterdrückte umso stärker aufleuchtet. Das Phänomen kennt man sicherlich: Denke auf gar keinen Fall an einen rosa Elefanten! Na, woran denkst du jetzt (und wahrscheinlich noch den ganzen Tag)? Das Phänomen ist in der Psychologie bekannt als „Ironischer Prozess“. Es ist der Grund, weshalb weder Gedanken- noch Gefühlsunterdrückung langfristig funktioniert. Im Englischen heißt es kurz und bündig:


What you resist, persists.


Es wird also keine Musterunterdrückung praktiziert, sondern eine Unterbrechung. Hierzu muss das gewohnte Verhaltensmuster mit einem neuen Verhaltensmuster „ersetzt“ werden. Im Beispiel „Grübeln“, wird das Grübeln durch eine Übung ersetzt, bei der die volle Aufmerksamkeit auf einen oder mehrere Sinnesreize gelegt wird. Das kann ein klassischer Bodyscan sein, Yoga Nidra, Abklopfen oder eine bewusste Atemübung. Die Musterunterbrechung beruht auf dem psychologischen Phänomen der "reziproken Hemmung". Das heißt, dass wir uns nicht gleichzeitig ängstlich UND entspannt fühlen können.

 

Das Muster wird also unterbrochen und im neuronalen Netzwerk nicht weiter „bedient“ – die Autobahn wird verlassen und man wählt den neuen, hilfreichen Trampelpfad, der dann nach und nach zu einer gut ausgebauten Straße wird. Das klingt sehr simpel und ist in der Umsetzung relativ schwierig. Wenn es einfach wäre, hätten wir auch alle nur hilfreiche und förderliche Gewohnheiten inklusive Denkweisen, nicht wahr?



Eine passende Übung finden und dranbleiben

Es ist von Vorteil, wenn man herausfindet, was gut funktioniert und sich in den eigenen Alltag integrieren lässt. Immer wieder in den Körper und ins Hier und Jetzt zu kommen, ist oftmals ein sinnvoller Ansatzpunkt. Ein gelebtes Leben findet in der Gegenwart statt. Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Vergangenheit und Zukunft sind Gedankengebäude und daher nicht „real“. Sie existieren in Form von abstrakten Vorstellungen in unserem Denken.

Ich habe ein kleines Sammelsurium erstellt mit Übungen, die ich aufgrund ihrer „Knackigkeit“ gut in meine Morgen- und Tagesroutine einbauen kann. Denn regelmäßiges, tägliches Üben ist wichtig, damit sich neue Pfade im Gehirn entwickeln und ausbauen. Weniger ist ebenfalls mehr!

Es ist einfacher, sich zunächst in kurzen Zeitspannen auf das „Verhaltensexperiment“ einzulassen: „Mal schauen, was passiert, wenn ich diese Übung mache.“ Oder „Mal schauen, was passiert, wenn ich meine Gedanken zulasse und einfach beobachte.“ und so weiter. Die Haltung beim Üben ist entscheidend. Übe ich, um etwas „wegzubekommen“ bin ich einer Vermeidungsstrategie anheimgefallen. Übe ich, um einfach mal zu schauen, was es mit mir macht, dann habe ich eine offene Haltung, die es überhaupt ermöglicht, neue Erfahrungen zu machen. Und ganz wichtig: Dranbleiben.

Und, welche Denkfehler nach Aron Beck habt ihr bei euch entdeckt?




Übungen zur Musterunterbrechung:

Yoga Nidra (30 Minuten)

Yoga Nidra (15 Minuten)
Yoga Nidra (3 Minuten)

 

Metakognitives ATT (Aufmerksamkeits-Training)


Boss im Kopf Mauseloch-Übung
Boss im Kopf Mini-Meditation (4 Minuten)
Boss im Kopf Musterunterbrechung „X Prozess“ (10 Minuten)

Boss im Kopf Erdungs-Übung (10 Minuten)



Weitere hilfreiche Inhalte:

Kognitive Verzerrungen nach Aron Beck
Kognitive Umstrukturierung mit „The Work“ (Boss im Kopf)
Kognitive Umstrukturierung mit dem ABC-Modell (Franca Cerutti)

 

Kurz gesagt - neue Gewohnheiten etablieren


Soforthilfe bei Angst und Panik (Andre Herrmann)
Leitfaden bei Angststörung (Juan der Spanier)

 



Hilfreiche Literatur:

 

Therapie TO GO, Sacha Bachim
Gesund durch Meditation, Jon Kabat-Zinn
Soziale Angst verstehen und verändern, Hoyer und Härtling

 

 

Kommentare: 1
  • #1

    Nine (Montag, 20 Februar 2023 12:12)

    Super geschrieben und eine tolle Hilfe.