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Minimalismus - und dann?

 

Aktiv werden im Außen: Das Ausmisten, Ordnung halten, Organisieren und Nachhaltigkeit kann ein befriedigender und bedeutsamer Schritt sein, der zu mehr Zufriedenheit und Struktur im eigenen Leben führt. Aber was kommt eigentlich danach? Diese Frage stelle ich mir auch regelmäßig, zumindest seitdem ich nicht mehr viel auszumisten und zu minimalisieren habe. Kleine Stellschrauben gibt es immer.

Minimalismus ist eine Reise deren Ende nicht das Leben mit wenig Besitz ist. Äußere Ordnung ist angenehm und macht vielleicht einen guten Eindruck oder beeindruckt sogar. Aber was, wenn innerlich trotzdem Chaos herrscht, Unzufriedenheit oder mangelnder Antrieb? Äußerlich Ordnung zu halten hilft mir definitiv, meine innere Ordnung zu fördern, doch ein Garant ist sie nicht.

Die Bandbreite an Online-Präsenzen, die Minimalismus als „Universal-Lösung“ darstellen oder sogar passende Dienstleistungen anbieten, ist groß. So friedvoll, reinweiß, weise und perfekt erscheint oft das Leben dieser Menschen, die scheinbar alles erreicht haben, was erstrebenswert ist und die offenkundig die Höchste aller Weisheiten erhalten haben. Die Lösung und der heilige Gral: Minimalismus.

Ist das wirklich so? Ich kann an dieser Stelle natürlich nur von meinen eigenen Erfahrungen berichten. Und bezüglich des Minimalismus als Universal-Heilmittel kann ich nur sagen: Lasst euch nicht blenden. Für mich war das Ausmisten erst einmal Mittel zum Zweck, da ich visuellen Lärm minimieren wollte und einfach von meinem Naturell her sehr ordnungsliebend bin. Bis zu diesem Punkt bedeutete „Minimalismus“ für mich nichts anderes als „meiner Natur entsprechend“ zu leben.

Was danach kam, ist interessanter: Die neu gewonnene Ordnung macht sichtbar, was vorher unter zahlreichen Statussymbolen und Trophäen – in meinem Fall: Bücher – verborgen lag. Die Einfachheit entlastet, aber sie lässt auch neue Fragen aufsteigen. Sie ist wie ein Spiegel, der uns fragt: Wer bist du ohne Besitz? Wer kannst du noch sein, wenn du nichts mehr hast? Ganz in dem uns eingetrichtertem Sinne „Haste was, biste was“.

Welches ungelebte Leben versteckt sich hinter dem nie endenden Anhäufen von Dingen? Und ich möchte betonen, dass ich hier nicht von liebgewonnenen, schönen Dingen spreche, die sich wohl in jedem Haushalt wiederfinden. Ich spreche von den wiederholten Käufen, die nur einer Sache dienen sollen: Der kurzfristigen Befriedigung und Ablenkung von dem, was unangenehm und unliebsam empfunden wird: Nicht erfüllende Freundschaften, Partnerschaften oder ein schlecht bezahlter Job, Misserfolgserlebnisse, Krankheit oder schlichtweg Ziellosigkeit? Wir haben wohl alle unsere Leichen im Keller.

Ich habe auf meiner „Minimalismus-Reise“ bereits mehrere Schätze in diesem unliebsamen Keller gefunden und nicht jeder davon glänzte auf den ersten Blick, im Gegenteil:

Leere, Sinnlosigkeit, Sucht, Ablenkung, Selbstsabotage... Wenn man sein Konsumverhalten verändert, treten die Mechanismen deutlicher hervor, die darunter verborgen liegen. Bevor der langersehnte Frieden Einzug hält, ist man erst einmal dazu eingeladen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und das sieht wohl bei jedem Menschen anders aus, weshalb es für mich kein Grundrezept gibt. Ein einfaches Leben ist keine Garantie für ein glückliches und zufriedenes Leben. Es kann jedoch ein erster Schritt zurück zu sich selbst sein.

Es bleibt die Frage: Was kommt nach dem Ausmisten?

Ich möchte meinen: Es geht darum, zu sich selbst zu finden. Wenn alles Überflüssige fort ist und man seine eigenen Bedürfnisse besser kennt, bleibt nur die tiefere Auseinandersetzung mit sich selbst. Und damit die tägliche Beantwortung einer neuen Frage:

Was stimmt hier und jetzt für mich?

 

 

Kommentare: 5
  • #5

    Aura (Mittwoch, 27 Januar 2021 15:00)

    Hallo Ilona!

    Ich versuche viel in mich zu gehen, Gewohnheiten zu hinterfragen. Ich merke dabei häufig, wie sehr man in einem bestimmten Trott drinsteckt. Ansonsten mag ich gute Serien, Bücher und Videospiele mit Tiefgang. :-) Viele Grüße!

  • #4

    Ilona (Dienstag, 26 Januar 2021 18:44)

    Visueller Lärm ist total passend.Mich würde mal interessieren wie Ihr Eure freie Zeit jetzt nutzt.Denn ich finde ohne shoppen,aufräumen,putzen bleibt einem viel mehr Zeit .
    LG Ilona
    P.s. Ich selbst habe jetzt mehr Ruhe zum lesen :-)))

  • #3

    Thorsten (Sonntag, 24 Januar 2021 21:50)

    "visueller Lärm" trifft es. Wenn schon draußen und im Internet alles so schrill und überladen ist, dann muss es in der Wohnung nicht auch noch "visuell laut" sein ;)

    Weiße Kleidung ist schrecklich unpraktisch, ich habe mittlere und dunklere Farben , hellgrau ist auch schön.

    Wenn alles weg ist was geht, dann ist das was übrig bleibt der Kern der Dinge und das kann auch bedeuten : ein ständiges Köcheln anstatt friedvolle Stille. Der Kampf geht weiter ;)


  • #2

    Aura (Sonntag, 24 Januar 2021 11:27)

    Guten Morgen Gabi!

    Danke für deine Rückmeldung! Schön ausgedrückt mit dem "bunten Vogel" in dir - so geht's mir auch. Ich empfinde es zunehmend als Privileg, dass ich auch mit weniger Dingen zufrieden sein kann. Es bringt viel Stress, Druck und Ärger mit sich, wenn man immer mithalten will, teure Statussymbole braucht und sich damit vor anderen rühmen muss, um sich gesehen zu fühlen.

  • #1

    Gabi (Samstag, 23 Januar 2021 22:45)

    Oh, was ein starker Text. Minimalismus ist - sofern man es nicht als idealisierte Selbstdarstellung ver(sch)wendet - eine Reise zu sich selbst. Wenn man hinter all dem entrümpelten Konsumballast irgendwann sich selbst entdeckt. Bei mir: einerseits die jahrzehntelangen beruflichen Be- und Überlastungen, aber auch der „bunte Vogel“ in mir. Der „fliegt“ definitiv viel freier, ohne den ganzen Konsum-Kram.