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Pseudo-Minimalismus

 

Minimalismus hat sich zu einem deutlichen Trend entwickelt. Ähnlich wie die Themen Nachhaltigkeit, Veganismus und Mobilität. Das Paradoxon, das ich heute thematisieren möchte, liegt im Trend selbst: Er verkehrt die ursprüngliche Idee in ihr Gegenteil.

 

Was genau heißt das?

Was ich im Netz beobachte ist, dass Minimalismus zur neuen Konsumfalle geworden ist. Vor zwei Jahren habe ich auf YouTube beispielsweise noch zahlreiche Roomtouren gefunden, die authentisch waren und echte Inspiration für mich waren und auch ein Anlass mit Menschen über das Thema in Kontakt zu kommen.

Was ich heute sehe: Perfekte Minimalismus-Wohnungen, in denen alle Produkte ästhetisch aufeinander abgestimmt sind, über denen Kamerafilter liegen und den puren Anschein einer noch perfekteren Konzeption wecken. Ich sehe Leute, die die neusten und nachhaltigsten Putzmittel in die Kamera halten und Leute, die ihre quietschgelbe Plastik-Haarbürste aus Kindertagen durch eine nachhaltige Holzbürste ersetzen, die optisch besser ins Gesamtbild ihres Profils passt. Mit Verlaub, das ist das schiere Gegenteil von Nachhaltigkeit.

Ich sehe Wohnungen, wo eine aussieht wie die andere. Weil dieser konstruierte „Minimalismus“ nichts weiter ist als ein Abziehbild vom Abziehbild: Katalog-Wohnungen. Aber das Leben ist nicht im Katalog bestellbar. Es will gelebt werden. Individuell, authentisch, echt. Stimmig für den Menschen, der es lebt.

Ich möchte betonen: Ich mag Design. Vor allem, wenn es intelligent und smart ist. Und ich mag es auch, wenn Dinge optisch zueinander passen und eine visuelle Einheit bilden. Und dennoch habe ich mein knallpinkes Handtuch verwendet, bis es auseinander gefusselt ist, um es durch ein graues und damit farblich stimmigeres Handtuch zu ersetzen.

Irgendwann weiß man, welcher Stil einem gefällt und kann verschlissene Dinge entsprechend ersetzen. Aber einfach neu kaufen, um einem bestimmten Stil zu entsprechen, um Follower zu gewinnen, um dazuzugehören, halte ich für eine noch größere Ego-Falle als es der Konsumdruck sowieso schon ist.

Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen: Sobald einem die potentielle Außenwirkung weniger wichtig wird, ist man wirklich frei von der Konsumfalle. Dann braucht es nicht mehr das neuste Smartphone, die schicke Uhr oder den mächtigen SUV, der zwei Parkplätze im urbanen Raum benötigt. Dann braucht es auch nicht mehr 20 Outfits im Kleiderschrank, um sich wohl zu fühlen. Wenn einem die Außenwirkung weniger wichtig ist, dann geht es einzig und allein um einen selbst. Und darum, was wirklich nützlich ist, darum, was stimmig ist und jetzt wichtig ist.

Darum betone ich es immer wieder aus voller Überzeugung:

Minimalismus im Außen ist nur das Resultat einer inneren Entwicklung. Weg vom Statusdenken und hin zu sich selbst.

Dieser Weg bedeutet Konfrontation mit sich, seinen Sehnsüchten, Wünschen und Illusionen. Allein die Illusion „ich kaufe die schicke Handtasche um dazuzugehören“ will hinterfragt werden. Und darüber hinaus gelangt man unweigerlich zu noch bedeutsameren Fragen:

Wer bin ich in meiner echten und authentischen Tiefe?
Welche Ressourcen liegen dort verborgen?
Was kann ich geben?

 

 

Kommentare: 4
  • #4

    Thorsten (Dienstag, 22 März 2022 19:48)

    Bei allen Themen gibt es im Netz die bedeutsam inszenierte Oberflächlichkeit. Mehr Schein als Sein. Wie in einer Verkaufsveranstaltung, man wird eingelullt und soll was abkaufen. Zum Glück gibt es authentische Blogs wie diesen hier oder den von Gabi. Ohne Lärm und ohne Kaufzwang. :)

  • #3

    Martina (Montag, 21 März 2022 17:31)

    Ja, du hast völlig recht. Hier geht es glaube ich vorrangig um Menschen, die den Minimalismus in erster Linie als Einrichtungsstil sehen. Ohne das "dahinter". Und da es ja um Klicks und Follower geht, wird das repräsentiert, was dem Zeitgeist entspricht. Es gibt ein paar sehr inspirienede Roomtouren auf YT (deine zwei z.B. :), von Menschen, die einfach total individuell sind und sich ihr Leben für sich so einrichten, wie es ihnen gefällt und die sich nichts pfeifen, was den Zeitgeist angeht, diese Touren werden aber irgendwie immer weniger, habe ich das Gefühl. Was bleibt, ist Einheitsbrei. Schade, denn gerade das andere ist das Interessante und da nimmt man immer sehr viele frische Ideen mit, auf die man selbst vielleicht gar nicht gekommen wäre.

  • #2

    aneboda (Sonntag, 20 März 2022 10:36)

    Da kann ich jedes Wort unterschreiben.

  • #1

    Gabi (Samstag, 19 März 2022 20:44)

    Oh, du sprichst mir da echt aus der Seele. Ich finde es so schade, wenn ich all dieses perfekt gestylte, lichtdurchflutete Einheitsallerlei sehe. Es inspiriert mich überhaupt nicht. Leider. Normalerweise finde ich solche Roomtouren auch gut, um nochmal über die eigenen Dinge nachzudenken und nicht betriebsblind zu werden. Es sieht im besten Fall schick aus. Der perfekte Endzustand ist für mich aber gähnend langweilig. Da passiert kein wirkliches Leben, keine Entwickungsprozess, keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem, was aus dieser Lebenshaltung heraus entsteht.