Materieller Minimalismus überschreitet früher oder später seine Grenze – minimalisiert wird nicht nur in der Wohnung, im Kleiderschrank oder im Keller, sondern auch zunehmend in sozialen und
mentalen Bereichen. In diesem Artikel schreibe ich über ein oft schambesetztes und unangenehmes Thema: Sucht.
Mein persönlicher Endgegner: Zucker
Seit vielen Jahren starte ich immer wieder Versuche der Ernährungsumstellung. Zahlreiche Diäten haben mein Leben geprägt, mich in Selbstzweifel geworfen und mein Körpergefühl von Jahr zu Jahr
schlechter werden lassen. Ich bin mit einer Mischung aus Frisch- und Industriekost aufgewachsen und hatte gefühlt schon immer einen unstillbaren Zuckerhunger. Ich habe dutzende Ernährungsformen
ausprobiert, mich den modernen Ernährungs-Religionen unterworfen, die mit disziplinierenden und kontrollierenden Ritualen alles nur noch schwieriger gemacht haben. Zumindest für mich.
Ich habe mich schon im Grundschulalter gefragt, welche die natürliche Ernährung des Menschen ist. Eine Ernährung, die niemals zu Unter- oder Übergewicht führt und die Gesundheit ganz automatisch
und bestmöglich erhält. Ich glaube, dass ich jetzt, mit fast 30 Jahren, eine Antwort gefunden habe.
Vollwertig, pflanzlich, unverarbeitet
Ich bin überzeugt davon, dass eine vollwertig pflanzliche Ernährung, die sich ausschließlich natürlicher und unverarbeiteter Lebensmittel bedient, auf langfristige Sicht die gesündeste Variante
für den menschlichen Körper und seine Seele darstellt. Was der Mensch benötigt, bekommt er aus einer Ernährung, die aus einem hohen, stärkefreiem Gemüseanteil besteht, der mit stärkehaltigen
Sättigungsgrundlagen ergänzt wird: Kartoffeln, Linsen, Bohnen, Erbsen, Getreide.
Lebensmittel, die in dieser Ernährung verwendet werden, können nicht süchtig machen. Der Körper weiß, was mit dieser Nahrung zu tun ist und kann sie artgerecht und bestmöglich verwerten und
„erkennen“. Zucker, Fett, Salz, Gluten, Süßungsmittel in verarbeiteter und konzentrierter Form – all diese und noch mehr künstliche Zusatzstoffe – sind für den Körper unbekanntes Terrain. Und sie
stimulieren in höchstem Maße das Belohnungssystem, sprich: sie machen süchtig. Wie süchtig, ist individuell und unterschiedlich. Auf welche Substanzen kannst du verzichten, auf welche
nicht?
Sucht – Nikotin, Alkohol und Drogen, oder?
Sucht hat viele Gesichter. Ich war sehr lange der Überzeugung, dass ich von Sucht nicht betroffen bin, denn ich rauche nicht, nehme keine Drogen und habe auch kein Interesse an Alkohol. Dass
Essen zur Sucht werden kann, war mir lange gar nicht bewusst.
Eine Sucht unterscheidet sich von ungezwungenem Verhalten durch ihre implizierte Abhängigkeit von bestimmten Substanzen. Ob ein Abhängigkeitssyndrom vorliegt, lässt sich grob anhand der Kriterien
nach der ICD-10 feststellen.
Zur Diagnose des Abhängigkeitssyndroms müssen nach der ICD-10
mindestens drei der folgenden Kriterien während des letzten Jahres gemeinsam erfüllt gewesen sein:
1. Starkes Verlangen, die Substanz einzunehmen
2. Schwierigkeiten, die Einnahme zu kontrollieren
3. Körperliche Entzugssymptome
4. Benötigen immer größerer Mengen, damit die gewünschte Wirkung eintritt
5. Vernachlässigung anderer Verpflichtungen, Aktivitäten, Vergnügen oder Interessen
6. Gebrauch der Substanz trotz eintretender schädlicher Folgen
Erkennst du dich wieder? Wie schon erwähnt hat Sucht viele Gesichter – vielleicht ist es bei dir nicht der Zucker, nicht das Salz, nicht das Essen, der Alkohol oder andere Drogen. Wie sieht es
aus mit deinem Internetkonsum, deiner Smartphone- und Mediennutzung oder anderen Dingen?
Wer suchtet, sucht – Wonach suchst du wirklich?
Die Sprache des Lebens ist beim Thema „Sucht“ sehr klar und spiegelt deutlich, worum es geht. Bei einer Sucht liegt eine Suche zugrunde. Sucht kompensiert, betäubt, belohnt, stimuliert.
Unerträgliche Zustände, ob körperlicher oder emotionaler Natur, werden durch den Konsum von Suchtmitteln erträglich. Was erträgst du in deinem Leben und welche favorisierte Substanz macht das
Ertragen für dich erträglich?
Substanzen, die das Belohnungssystem stimulieren führen nicht nur zu einer Ausschüttung von Glückshormonen, sie mildern auch körperliche Schmerzen. Beim Thema „Essen als Sucht“ oder speziell
„Zuckersucht“ besteht in vielen Fällen zusätzlich eine emotionale Kopplung an die Substanz. Jede süchtige Person ist weitestgehend ein pawlowscher Hund, der gelernt hat, auf bestimmte Reize zu
reagieren. Aber hilft dieses Wissen, um die Mechanismen und Konditionierungen? Mir hat es nicht geholfen.
Abstinenz und Kontrolle
Der Wunsch eines jeden, der von Sucht betroffen ist, ist im Grunde nur dieser: endlich frei sein. Frei sein, zu konsumieren, ohne vom Konsum abhängig zu sein. Frei sein, zu konsumieren, ohne die
negativen Folgen der Sucht tragen zu müssen. Nur ein bisschen Alkohol am Wochenende, nur eine Zigarette auf der nächsten Feier, nur ein Stück Kuchen am Nachmittag – geht das?
Das geht. Und es funktioniert nicht für jeden und nicht mit jeder Substanz. Ein persönliches Beispiel: Alkohol ist für mich absolut uninteressant, ich kann ihn konsumieren und sofort aufhören
ohne ein Gefühl von Verzicht oder weniger „Spaß“ zu haben. Das gleiche funktioniert bei mir nicht mit Kuchen, Schokolade und Keksen. Esse ich ein wenig, esse ich alles. Nein sagen funktioniert
nur mit absolutem Widerwillen und einem großen Verzichts-Gefühl. In diesem Fall ist Abstinenz vielleicht die einzige Lösung. Ich probiere aktuell aus, was für mich auf lange Sicht funktioniert
und mich zufriedenstellt.
Die Suche annehmen
Wie bei allen emotionalen Themen bin ich auch bei dem schwierigen und oft mit Scham besetzten Thema „Sucht“ davon überzeugt, dass Annahme der erste Schritt ist. Die Sucht annehmen heißt in diesem
Fall auch: die Suche annehmen. Und wertschätzen. Wonach suchst du in deinem Leben, was fehlt dir? Sind es die allgemeine Lebenssituation, der Beruf, die Partnerschaften und Freundschaften oder
die fehlende Freude und Passion?
Ich befinde mich auch auf dieser spannenden Reise. Wenn du Austausch suchst, schreib mir gerne oder wirf einen Blick in den Spiegel
und lerne, die Sprache des Lebens zu verstehen.
Speziell zum Thema „Zuckersucht“ empfehle ich dir folgende Beiträge von endlichzuckerfrei.de:
Symptome bei Zuckersucht
Anzeichen einer Zuckersucht
Sucht und ihre Ursache
Bist du süchtig oder hast du schon gefunden, wonach du wirklich suchst?
Wie gehst du mit deiner Sucht im Alltag um?