Triggerwarnung: In diesem Artikel schreibe ich im Detail über Depression, Angst und körperliche Symptome, die auftreten können.
Die Erschöpfungs-Spirale ist tückisch, da es in ihrer Natur liegt, sich selbst nicht zu erkennen. Ich habe in den letzten Monaten unschöne und äußerst wichtige Erfahrungen gesammelt. Und ich
möchte unbedingt offen damit umgehen. Weil ich erlebt habe, wie wichtig der Dialog ist.
„Burnout“ ist in aller Munde. Burnout klingt modisch, schick, nach Leistung, nach Power. Jemand, der an Burnout leidet, hat viel geleistet, viel gearbeitet, viel getan. Als wäre es eine
Anstecknadel, die man sich nach jahrelanger Anstrengung „verdient“ hat. Burnout ist kein medizinischer Begriff, sondern meint eher ein Syndrom – also ein Zusammenfallen – verschiedener
psychosomatischer Beschwerden die Folge oder Ursache einer psychischen Erkrankung sein können.
Mit den Diagnosen Depression und Angststörung schmückt man sich in unserer Leistungsgesellschaft jedoch nicht. Zwar beobachte ich, dass Tabuisierungen schrittweise abgebaut werden, jedoch ist die
Dunkelziffer der Betroffenen womöglich gewaltig. Zu groß ist die Angst, die Scham, das Schuldgefühl in unserer Leistungsgesellschaft versagt zu haben und als weniger „belastbar“ stigmatisiert zu
werden.
Schluss damit und Vorhang auf. Jede fünfte Person in Deutschland ist betroffen. Therapeuten in Deutschland sind maßlos überlaufen, da sie dem Andrang all derer die Hilfe benötigen nicht mehr
gerecht werden können. Bei Depressionen, Angst- und Panikstörungen handelt es sich um eine manifeste Volkskrankheit und kein eingebildetes Leiden nach dem Prinzip „Stell dich nicht so an“. Die
Forschung nach Ursachen derartiger Leiden ist hierbei ebenso bedeutsam wie die Suche nach Wegen und Auswegen. Mein Weg beginnt jetzt.
Nächste Haltestelle: Psychiatrie
Im Juni habe ich mich bewusst zu einem stationären Aufenthalt entschieden, nachdem ich bereits zuhause mehr als zwei Wochen „flachlag“ – ein mir bereits bekannter Zustand, den ich aus zwei
vorherigen akuten Belastungsreaktionen kannte. Wenn ich das Gefühl heute beschreibe, um es Nicht-Betroffenen verständlich und greifbar zu machen, sage ich:
Es fühlt sich an, als trüge man eine 20 Kilogramm schwere Bleiweste und als hätte man obendrein zu viel Alkohol im Blut. Und abgesehen von andauerndem Herzrasen, Schwindel, Benommenheit, Kälte-
und Hitzeschauer, dreht sich das Gedankenkarussell unaufhörlich schneller. In mehrstündigen Grübelattacken versteift und erstarrt der Körper zu einem Konglomerat aus schmerzhaften Verspannungen,
Übelkeit und Verzweiflung. Nichts geht mehr und der dunkle Tunnel, in dem man steckt, scheint sich endlos in die Länge zu ziehen.
Vor allem ein Gedanke gemischt mit einem Gefühl tiefer Erschöpfung kreist unaufhörlich: Ich kann nicht mehr. Nichts geht mehr.
Da ich mir bewusst darüber war, dass ich in diesem Zustand nicht alleine für mich sorgen konnte, organisierte ich mit letzten Kräften einen Klinikaufenthalt. Hier bin ich sehr dankbar dafür, dass
Akut-Krankenhäuser in Deutschland in der Regel zügig einen stationären Platz anbieten können, unabhängig vom Versicherungsstatus.
Ich persönlich hatte große Vorbehalte und Ängste bezüglich eines psychiatrischen Aufenthalts – Hollywood und Co. leisten da ganze Arbeit. In Wirklichkeit ist es auf einer psychiatrischen Station
nicht anders als in einem nicht-psychiatrischen Krankenhaus. Natürlich gibt es Unterschiede: Man erhält Therapie und psychologische Arztgespräche, Aktivitätsangebote und Bewegungstherapie,
kognitives Training und jede Menge Beistand ohne den man eine derartige Krise wohl kaum durchstehen könnte.
Mit der Stabilisierung durch den Klinikalltag und die Therapieangebote dort beginnt der eigentliche Weg raus aus Angst, Depression, Dauerstress und Überlastung. Diesen Weg geht jeder Betroffene
auf seine eigene Art und Weise und – ganz wichtig! – in seinem eigenen Tempo.
Der Weg durch die Wüste
... ist ein Marathon, kein Sprint. Auf Station war ich überrascht davon, wie selbstverständlich man mit meiner Symptomatik umgegangen ist. Zum ersten Mal sprach ich mit Betroffenen und mir wurde
klar, dass meine „diffusen Symptome“ wie ich sie meist wahrnahm, völlig typisch sind. Alle Symptome erhielten plötzlich eine gemeinsame Überschrift, waren doch sämtliche Blut- und körperlichen
Untersuchungen stets unauffällig.
Der Weg durch die Wüste ist ein langer Weg mit Hoch- und Tiefpunkten. Einer lang andauernden Stressperiode kann keine kurzfristige Erholungsphase folgen. In meinem Fall liegen elf Jahre
andauernder Prüfungsstress hinter mir, der mit meinem neunzehnten Lebensjahr zu Beginn meines Studiums direkt nach dem Abitur begann und am 1. Mai diesen Jahres mit dem Ende meiner Probezeit als
Lehrerin endete. Es ist für mich kein Zufall, dass mein persönlicher Supergau kurze Zeit später, in der Nacht auf den 16. Mai seinen Lauf nahm und sich mir in aller Heftigkeit präsentierte.
Was ist da eigentlich passiert?
Das frage ich mich, seitdem ich langsam Abstand gewinne. Plötzlich drückt das Leben auf den Pausenknopf. Alles hält an. Ich halte an. Die Welt bewegt sich weiter. Kennt ihr das Gefühl aus einer
Achterbahn auszusteigen? Ja, so fühlt es sich an. Um mich herum wird alles ruhiger und ich beginne mich ernsthaft zu fragen: Was ist da eigentlich passiert in den letzten elf Jahren? Wann ist die
Situation gekippt? Was habe ich übersehen? Was wollte ich nicht sehen? Wem wollte ich etwas beweisen? Was wollte ich erreichen? Ich hatte mich selbst verloren in einem Hamsterrad, das für mich
wie eine Leiter ausgesehen hat.
Perfektionismus, Gewissenhaftigkeit, hohes Verantwortungsbewusstsein, Idealismus, ein ständiges Gefühl des Nichtgenügens, Konkurrenz, innere Konflikte – all das prädestiniert die
„Burnout-Persönlichkeit“. Fordert sie geradezu heraus, kitzelt sie, bis sie explosionsartig hervorbricht. Bei einigen schleichend mit Warnzeichen, bei anderen plötzlich und scheinbar ohne
Vorwarnung.
Die Frage ist dann: Wie geht es weiter? In weiser Voraussicht habe ich bereits vorzeitig Maßnahmen ergriffen um mich zu entlasten: Möglichst viel Reizarmut und Arbeitszeitreduktion, darüber
hinaus Beratung und Coaching. Jetzt beginnt der eigentliche Weg. Wer meint, dass nach dem Gröbsten alles wieder im Lot ist, irrt. Körper und Geist brauchen Zeit, um sich zu erholen. Das
Nervensystem braucht Zeit, um sich zu regulieren. Die Fäden des Lebens brauchen Zeit, um sich zu ordnen und wieder zusammenzufinden. Es ist nicht einfach, dies zu akzeptieren. Aber es ist das
einzige, was jetzt dran ist.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich schreibe über Minimalismus. Und über das, was wirklich zählt. Jetzt zähle ich. Die Reduktion der Dinge führte mich über den digitalen Minimalismus hin zu bewusstem Konsum und vielen kleinen
Schritten der Vereinfachung. Jetzt komme ich womöglich bei mir selbst an. Dies mag die „tiefste“ Ebene des Minimalismus sein, die radikale Reduktion auf sich selbst. Das bewertungsfreie
Hinschauen und Anschauen aller „Dinge“, die mich im Innersten bewegen und an diesen Punkt meines Lebens geführt haben.
Es mag philosophisch klingen und ich denke das ist es auch: Wenn alle Masken gefallen sind, führt der Weg unweigerlich zu sich selbst. Auf diesem Weg erhalte ich aktuell viel Unterstützung von
allen Seiten, wofür ich sehr dankbar bin, da es nicht selbstverständlich ist. Auch erreichen mich regelmäßig viele liebe Botschaften und aufmunternde Sprüche, die mich begleiten sollen. Ein
Spruch hat es mir besonders angetan und auch wenn ich nicht christlich gläubig bin, begleitet mich der Spruch seit dem ersten Tag meines Klinikaufenthalt

Und nun ihr: Seid ihr betroffen, kennt ihr Betroffene?
Habt ihr Themenwünsche bezüglich der Themen Burnout, Angst und Depression? Dazu wird es in Zukunft wohl mehr von mir zu lesen geben, da ich euch gerne an diesem Weg teilhaben lassen möchte. Ich
habe im Austausch mit Betroffenen gemerkt, wie wichtig und hilfreich es ist, sich damit nicht allein zu fühlen. Passt auf euch auf.
Hier findet ihr weiterführende Infos:
Burnout - eine echte Krankheit? (maiLab)
Burnout - Hysterie oder Epidemie? (Leschs Kosmos)
Burnout - Dr. Miriam Prieß
Deutsche Depressionshilfe
Deutsche Angsthilfe
e.v.
Burnout im AOK Gesundheitsmagazin
Misa (Dienstag, 06 September 2022 01:12)
Hallo, vielen Dank für deinen Beitrag. Hachja in vielen Dingen finde ich mich wieder bzw. Kenne zu gut, mit Diagnose Depression, generalisierte Angststörung, Panikattacken kann ich ein Lied davon singen. Ich kann vieles nicht mehr machen, was mir eigentlich Freude bringt, gehe halbtags arbeiten weil ich mehr nicht schaffe und bin hundemüde zum größten Teil des Tages. Dazu kommen noch zig Symptome etc hinzu aber Aufgeben ist keine Option. ☺️ Ich wünsche dir sehr viel Kraft auf deinem Weg! LG �
Martina (Sonntag, 04 September 2022 12:46)
Liebe Aura, vielen Dank, dass du den Mut hast, so offen über deine Erfahrungen und Gedanken zu schreiben. Ja, es ist wirklich ein Tabuthema in unserer Leistungsgesellschaft, wo es um immer schneller höher weiter geht. Ich selbst hatte nach der Trennung von meinem Lebensgefährten zum Glück "nur" eine depressive Verstimmung oder Episode, die dann mithilfe eines neuen guten Jobs und Therapie ins Lot gekommen ist. Wie unglaublich schlecht es mir jedoch in diesen Monaten gegangen ist und dass das keine Lebensqualität mehr war, hat sich tief in mir eingegraben. Lass dir Zeit auf deinem Weg - alles Gute!
Aura (Samstag, 03 September 2022 11:21)
Hallo liebe Gabi,
ja die Arbeitsverdichtung bei gleicher Stundenzahl die abzuleisten ist, ist unzumutbar und das hat meines Erachtens auch nichts mit "Generation Y - Wir haben kein Bock zu arbeiten" zu tun. Die Belastung ist ganz real.
Mit den Diagnosen ist es in der Tat auch nicht so einfach. Depressionskriterien treffen auf mich zum Großteil nicht zu, abgesehen von chronischen Schmerzen und einer tiefen körperlich-geistigen Erschöpfung. Mich haben vor allem Angstzustände geplagt und entsprechende Symptome: Innerlich auf 180, körperlich bleischwer. Auch wenn Burnout noch keine offizielle ICD-10 Diagnose ist, trifft das "Konzept" Burnout auf mich ziemlich gut zu, nachdem ich selbst reflektiert habe und Therapeutengespräche hatte.
Im Moment holt sich mein Körper vor allem Schlaf und Erholung zurück. 10 Stunden Schlaf pro Nacht sind an der Tagesordnung und dennoch bin ich früh abends wieder müde. Ich spüre förmlich, wie ausgelaugt der ganze Körper ist. Es wird dauern, bis er sich erholt hat. Falls man sich davon überhaupt vollständig erholen kann. Das bleibt abzuwarten...
Wenn das Kartenhaus einmal zusammengefallen ist, muss man erstmal wieder sortieren und neu aufbauen. Ich hoffe, dass mir das gelingt. Jetzt muss erstmal gar nichts.
Gabi (Samstag, 03 September 2022 08:44)
Hallo Aura, erstmal alle guten Wünsche und weiter gute Besserung für dich! Du beschreibst das wirklich sehr anschaulich, so dass viel besser verständlich wird, um was es bei Depression, Burnout überhaupt geht. Das Leistungsdruck eine solche Auswirkung haben kann, ist fast unglaublich, aber es ist so. Immer mehr zu wollen, ist in allen Bereichen ungesund.
Mit Depression hatte ich selbst noch nicht zu tun. Bei mir ist es eher ein Problem, dass ich beruflich durch die ständigen Arbeitsverdichtungen der letzten 20 Jahren oft dauerüberreizt bin, manchmal einfach nur müde geworden und auch einfach körperlich nicht mehr so fit. Es ist lebenswichtig, sich ausreichend von all dem Getöse abzugrenzen.
Interessanterweise erreiche ich sogar mehr, wenn ich mit weniger vornehme. Also: Mal nicht so perfekt, ich muss nicht alles machen, ich bin nicht für alles zuständig, es muss nicht alles gut klappen. Aber da muss man erstmal hinfinden...