Beruf und Berufung

 

Wir alle streben nach Anerkennung und Wertschätzung. Einen Teil dieser Anerkennung erhalten wir sicherlich durch unseren Beruf, den wir im besten Fall nicht nur ausüben, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern auch aus Überzeugung. Was aber, wenn wir uns jeden Tag nur mit Mühe zum Arbeitsplatz schleppen und vielleicht sogar krank werden durch das, was unseren beruflichen Alltag prägt?

Meine bisherigen Erfahrungen, Gedanken und Erkenntnisse zum Thema Beruf sind vielfältig und waren in meinem Fall mit einem oft steinigen Weg verbunden. Ich bin introvertiert – meine Arbeitskraft kann ich dann am besten einsetzen und zur Verfügung stellen, wenn ich flexibel und meinen Bedürfnissen entsprechend arbeiten kann. Das ist meiner Erfahrung nach schonmal eine eher ungünstige Voraussetzung innerhalb unserer Gesellschaft. Ich bin gut darin, Details wahrzunehmen und genau zu arbeiten. Dabei ist mir Effizienz sehr wichtig. Gewinne ich den Eindruck, dass ich meine Zeit mit unnötigen Arbeitsschritten oder -inhalten füllen muss, dann ist dies für mich sehr unbefriedigend. Ich arbeite gerne zielorientiert.

Ich bin schnell reizüberflutet, wenn ich mehrere Tasks zeitgleich ausführe. Gleichzeitig brauche ich eine gewisse Herausforderung, um ein Gefühl von Erfolg zu entwickeln. Schon im Kindergartenalter habe ich meine damaligen Erzieher gefragt, wieso ein Mensch 40 Stunden in der Woche arbeiten muss. Ich hatte damals schon das intuitive Gefühl, dass 40 Stunden ein unverhältnismäßig hoch angesetztes Pensum sind. Wenn ich von meiner persönlichen Arbeitsweise ausgehe, dann ist das auch tatsächlich so. Für andere Menschen kann das wieder ganz anders aussehen. Von meiner damaligen Erzieherin habe ich übrigens immer nur folgende Antwort erhalten: „Das ist eben so. Jeder muss arbeiten.“ Diese Antwort konnte ich zwar „verstehen“, jedoch ließ sie mich unbefriedigt zurück.

Da ich aktuell mit Menschen und noch dazu mit Kindern arbeite, ist meine Aufmerksamkeit und die mir zur Verfügung stehende Energie nach drei bis vier Zeitstunden aufgebraucht. Im Normalfall ist ein durchschnittlicher Arbeitstag in meinem Beruf jedoch doppelt so lang. Es ist unschwer zu erahnen, was nach einer Weile geschieht, wenn man über seine körperlichen und mentalen Möglichkeiten hinaus geht und seine eigenen Grenzen nicht respektiert. In meinem Fall hatte ich es mit zwei akuten Belastungsreaktionen im Abstand von etwa acht Monaten zu tun. In vielen Systemen – so auch im Schulsystem – bedingen sich Personalmangel und Überlastung der einzelnen Personalkräfte gegenseitig und das in einer dysfunktionalen Abwärtsspirale. Fällt noch mehr Personal gesundheitsbedingt aus, müssen die verbleibenden Arbeitskräfte das zusätzliche Pensum mittragen. Ein Teufelskreislauf, der nicht nur das Schulsystem beherrscht. Aber das ist ein anderes Kapitel.


Die Suche nach der Berufung

Oft ist mir im Zuge dieser schwierigen Situation eine wichtige Frage begegnet: Habe ich vielleicht einfach noch nicht meine „wahre Berufung“ gefunden? Ganz klar, die Lösung liegt auf der Hand: Ich muss meine Berufung finden und dann ist das Problem gelöst! Zum Thema „Berufung finden“ gibt es aktuell zahlreiche Coaches und Speaker auf dem Markt. Auch in der spirituellen Szene ist das Thema sehr heiß und beliebt. Man gewinnt sogar den Eindruck, dass es die höchste aller Notwendigkeiten ist, die „Berufung“ zu finden und zu leben.

Taucht ein Problem auf oder ist man nicht zufrieden, schallt es aus allen Winkeln und Ecken: „Klar, hast du ein Problem – du lebst ja auch nicht deine Berufung! Aber hey, ich habe da ein passendes Seminar für dich für nur X Euro!“ Die eigene Unzufriedenheit und Orientierungslosigkeit sind oft so groß, dass man sich schnell in Aktionismus verzettelt. Ich nenne das Phänomen auch gerne „die Selbstsabotage-Falle“: „WENN ich erst dieses und jenes besitze oder erreicht habe, DANN bin ich glücklich.“ Zu diesem Phänomen lade ich dich ein auf einen kleinen Rück-Blick in die Zusammenhänge von Kausalität und Resonanz.

 


Was also tun?

Eine endgültige Antwort habe ich bis heute nicht gefunden, doch dafür einige neue Impulse, die mich auf frische Ideen gebracht haben. Inspiriert haben mich vor allem einige Weisheiten und Leitsätze aus der Zen Praxis, die zum Thema Arbeit und Beruf. Unter anderem: Es kommt nicht darauf an, WAS du tust, sondern WIE du es tust. Dieser Leitsatz brachte mich auf den Gedanken, dass nicht die berufliche Tätigkeit an sich problematisch sein muss, sondern vor allem die Bedingungen unter denen sie ausgeführt wird.  

Zu den Bedingungen zählen viele Aspekte: Zeit, Bezahlung, Rahmensituationen wie Fahrtwege, Kosten und Ähnliches sowie das soziale Miteinander im Team. Meiner Erfahrung nach kann ein gutes Team viele andere (Stör-)Faktoren ausgleichen. Ein schlecht funktionierendes Team oder ein schädliches Arbeitsklima hingegen können die beste Bezahlung und die schönste Tätigkeit ergrauen lassen. Auch Tätigkeiten, die als ineffizient oder sogar unnötig empfunden werden, tragen zu einer hohen Unzufriedenheit bei und können stark demotivierend wirken.


Wie möchte ich arbeiten?

Es kommen viele Faktoren zusammen und damit viele Fragen, die man auf dem Weg in ein zufriedenstellendes Berufsleben für sich selbst beantworten darf:

Wie kann ich am besten arbeiten – alleine oder im Team? Was interessiert mich? Wie sieht mein Alltag aus? Wieviel Zeit und Energie möchte ich in meine berufliche Tätigkeit investieren? Welche Tätigkeiten kann ich körperlich, psychisch und mental gut ausführen und in welchem zeitlichen Umfang? Wo möchte ich arbeiten und an welchen Ort bin ich vielleicht sogar gebunden? Wie gestaltet sich das Arbeitsklima und die Zusammenarbeit im Team? Fühle ich mich wertgeschätzt für meine Tätigkeit oder mache ich häufig Sinnlosigkeits- und Misserfolgserfahrungen? Kann ich mit meinem Erwerb meinen Lebensunterhalt bestreiten und wieviel Geld benötige ich überhaupt für ein erfülltes Leben?

Einfach ausgedrückt: Bin ich zufrieden?
Und falls nicht: Was stört mich und was wünsche ich mir anstatt dessen?

Es ist gut, wenn du dein Hobby zum Beruf machst. Es ist gut, wenn dein Beruf „einfach nur“ dein Broterwerb ist. Es ist gut, wenn du einfach mit anpacken möchtest und es ist gut, wenn du nach höherer Selbstverwirklichung strebst. Es gibt nicht „die“ Berufung, es gibt nur Tätigkeiten, die entweder stimmig sind oder eben nicht. Dabei zählt vielleicht das Gesamtpaket mehr als bestimmte Details. Das entscheidest allein du. Und dennoch ist alles der Veränderung unterworfen. Was heute für dich stimmig ist, kann sich schon morgen falsch oder unangenehm anfühlen.


Erfüllung finden

Unabhängig davon, ob du dafür bezahlt wirst oder nicht: Kreiere etwas in deinem Leben, das dich erfüllt! Das muss jedoch nicht die berufliche Tätigkeit sein oder das Hobby, das du zum Beruf machst. Vielleicht geht es um einen tollen Freundeskreis, eine Fähigkeit oder ein bestimmtes Reiseziel.

Ich gewinne häufig den Eindruck, dass man sich sehr viel unnötigen Druck damit machen kann, den „perfekten“ Beruf oder seine Berufung zu finden. Finde lieber heraus, was dir wichtig ist in deinem Leben und wie genau du leben möchtest. Anhand der Bedürfnisse, die du hast, kannst du schrittweise dein Leben ausrichten und bewusste Entscheidung hinsichtlich deiner beruflichen Tätigkeit treffen.


Was dir noch dabei helfen kann:

+ Die Sprache des Lebens verstehen
+ Stift und Papier sinnvoll nutzen
+ Selbstsabotage erkennen und auflösen
+ Zen-Praxis im Alltag üben und vertiefen

Bis du zufrieden mit deiner aktuellen beruflichen Tätigkeit?
Was wünschst du dir für deine berufliche Zukunft um noch zufriedener zu sein?

 

 

Kommentare: 3
  • #3

    Anja (Samstag, 06 Februar 2021 17:05)

    .... ja, bestimmt ist es so! Dieser Gedanke, erst dieses oder jenes noch schaffen, erreichen, finden zu müssen, um dann endlich glücklich und erfüllt leben zu können, verhindert das Glück nahezu. (Natürlich gibt es schlimme Umstände, die unerträglich sind und man da schwer glücklich sein kann. Da sind wir uns alle einig!) Aber ein großer Teil der Menschen lebt grundsätzlich ganz gut. Nur sagt man ihnen ständig (auf allen digitalen Ebenen), dass es nicht gut genug sei. Das kann es doch nicht gewesen sein? Am Ende bloß Mittelmaß?? Mittelmaß ist so herrlich befreiend! Man darf einfach leben, auskosten und erfahren, was gerade ist. So wie es ist, ist es lebendig. Manchmal ist es unglaublich schön, manchmal mittel, manchmal schrecklich. Das eine nur mit dem anderen. Jetzt gerade ist es gut genug. Es muss nicht „besser“ werden, um wahrhaftig und „richtig“ zu sein.
    Herzliche Grüße Anja

  • #2

    Aura (Samstag, 06 Februar 2021 15:03)

    Hallo Anja!

    Danke für dein Feedback. :) Ich sehe das wie du. Und am hellhörigsten werde ich immer bei den typischen "Internet-Kandidaten", die ihr Geld damit verdienen, indem sie anderen erklären, wie man Geld verdient und passives Einkommen generiert. Wir verbringen manchmal zu viel Zeit damit, das Paradies zu finden. Vielleicht liegt es aber auch gar nicht so sehr im außen sondern auch im Inneren und darin, was man aus den einzelnen Momenten macht, die einem zur Verfügung stehen.

  • #1

    Anja (Samstag, 06 Februar 2021)

    Liebe Aura,
    ich gebe Dir in allem Recht! Du hast ganz viele Punkte, die unterschwellig in unseren Köpfen zum Thema „Arbeit und Berufung“ herumgeistern, klar aufgezeigt.
    Besonders resoniert habe ich mit dem Thema, noch nicht die „ wirkliche“ Berufung gefunden zu haben und im Zuge dessen selbstoptimierend sich mit 100%- igem Engagement auf die Suche nach der Erfüllung zu machen. So dass wir unser Leben nicht vergeuden und im Anschluss täglich glücklichst unsere wahren Talente ausschöpfen... und verpassen damit das Leben an sich komplett!
    Welches sich eben auch verändert. Was gestern noch stimmig war, kann eben heute nicht mehr passen. Ich glaube - wie Du - dass man dafür offen bleiben sollte und sich damit viel Stress erspart. Es darf auch Zeiten des Übergangs und der Verwandlung geben, in denen es halt nicht 100% stimmig ist.
    Danke für den Beitrag!
    Herzliche Grüße Anja